Problem von Anonym - 22 Jahre

An Paul: Wie lerne ich ihn besser kennen? (2)

Lieber Paul,

die letzten Wochen, seitdem du mir geantwortet hast, sind vergangen wie im Flug. So gerne hätte ich dir schon früher geschrieben, aber es gab leider nicht viel, wovon ich dir hätte erzählen können. Genau genommen, gibt es auch bis heute nicht allzu viel (auch wenn der Text wieder ellenlang ist), aber es hat mich wieder das Bedürfnis überfallen, dir zu schreiben. Es tut so gut, sich alles von der Seele zu schreiben und daraufhin deine Antwort zu lesen, die jedes Mal wahnsinnig einfühlsam und objektiv zugleich ist. Niemand in meinem Bekannten- und Familienkreis könnte annähernd so helfen wie du – und das meine ich ganz ernst.

Mich hat es ebenso geehrt, dass ich dir wieder Hoffnung für die nächste Liebe gemacht habe, wie es dich ehrt, dass ich dir immer wieder aufs Neue schreibe und um Rat bitte. In der Hinsicht scheinen wir uns gut zu ergänzen :) Natürlich hoffe ich auch, dass du bald jemand Neues kennen lernst.

Ich möchte dir auch wieder für deine letzte Antwort danken. Jedes Mal, wenn ich eine neue Rückmeldung von dir erhalte, bin ich nervös, weil ich Angst habe, du könntest etwas schreiben, was ich absolut nicht nachvollziehen kann/was mich verletzt (auch wenn das nie deine Absicht wäre)… Aber dazu habe ich überhaupt gar keinen Grund, aus eben den Gründen, die ich dir oben genannt habe. Danke, danke, danke!

Du hast mir geraten, mit ihm über gemeinsame Interessen oder Dinge, die wir vielleicht unterschiedlich sehen, in Kontakt zu kommen. Das klingt auch sehr einleuchtend, allerdings kenne ich ihn ja noch gar nicht so gut und auf den sozialen Netzwerken folge ich ihm nicht (Facebook habe ich nicht, auf Instagram folge ich kaum Leuten, die ich persönlich kenne). Daher kann ich darüber gar nicht mehr über ihn herausfinden (z.B. ob er ein Spiel hatte). Kurzum: Ihn besser kennen zu lernen, wenn man kaum etwas über ihn weiß, ist leichter gesagt, als getan. Oder zumindest ist es für mich besonders schwer.

Dass ich ihn liebe, wie du es gesagt hast, würde ich so nicht unterschreiben. Das schreibe ich dir nur, weil ich beim Lesen das Gefühl hatte, du hättest den Eindruck gewonnen, dass wir uns besser kennen. Wie gesagt, ich würde es eher als „Verknalltheit“ beschreiben, einfach ein großes Interesse an ihm.
Ich möchte dich damit auch nicht kritisieren oder Ähnliches. Ich möchte nur auf das, was du zuletzt geschrieben hast, eingehen, damit du noch ein besseres Bild von der Situation bekommst.

Wie gesagt, seit unserem letzten Austausch ist leider nicht die Welt geschehen.
Ich habe mehrmals mit meinen zwei Freundinnen in der Schule über ihn gesprochen. Leider haben sie ihn als Arsch abgestempelt, obwohl zumindest eine der beiden noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hat. Das hat mich nachdenklich gemacht, aber immer wieder habe ich ihn verteidigt und darauf hingewiesen, dass sie ihn ja gar nicht kennen und ich nicht wüsste, was er in unserer Gegenwart jemals Falsches getan oder gesagt haben könnte. Natürlich kann ich ihn nicht ganz objektiv betrachten, aber sie glauben vermutlich, dass er ein Player ist, weil er so gut aussieht (und vielleicht auch weiß, dass er attraktiv ist), oft bei hübschen Mädchen rumhängt, insbesondere Blondinen… Aber all das macht für mich noch lange keinen „Arsch“ aus ihm. Abgesehen davon gibt es auch Jungs, die zwar nie eine ernsthafte Beziehung hatten, was aber oftmals nur daran liegt, weil sie noch nicht die Richtige getroffen haben. Hierbei kann ich ausnahmsweise aus Erfahrung reden, da meine frühere beste Freundin so jemand für einen „ehemaligen Player“ war. Er hat sich komplett für sie geändert, bzw. sie ganz anders behandelt und wertgeschätzt. Tut mir leid, ich schweife ab…
Jedenfalls macht er auf mich den Eindruck, dass er, wenn er jemanden liebt, ein sehr guter Freund sein kann. Dass er ein Mädchen absichtlich und vorsätzlich verarscht, kann ich mir nicht vorstellen. Da steht meine Menschenkenntnis gegen die meiner zwei Freundinnen.

Kurz nach unserem letzten Austausch, war ich mit den beiden an Weiberdonnerstag feiern. Ich wusste, dass er auch da sein würde und war nervös. Ich hatte wirklich vor, die Chance zu nutzen, wenn sie sich bat. Leider hat auch der Alkohol mich nicht offener gemacht bzw. ergab sich wirklich keine Chance. In der ersten Kneipe stand er mit einem Mädchen aus seiner Klasse an der Bar und als sie uns reinkommen sahen, hat er uns so süß angelächelt und gewunken, dass ich fast auf der Stelle dahin geschmolzen wäre. Ich konnte ihn nur bis zu den Schultern sehen, aber war mir sicher, dass ich noch nie jemand gesehen habe, der so attraktiv und heiß ist. Wir holten uns etwas zu trinken und gesellten uns zu anderen Mitschülern. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es eine gute Idee wäre, mich einfach neben ihn und das andere Mädchen zu stellen und ihn anzusprechen… Bald verließen wir die Kneipe wieder und gingen woanders hin (ich wollte meine Freundinnen nicht dazu zwingen, den ganzen Abend in seiner Nähe zu verbringen). Irgendwann, als ich schon Einiges getrunken hatte und wir uns in einer weiteren Kneipe befanden, kam er auch rein. Er redete mit der nächsten Blondine und ich saß dort, angetrunken, und hatte immer noch nicht den Mut einfach zu ihm zu gehen. So ging der Abend dann zu Ende. Mitten in der Nacht, als ich in meinem Bett aufwachte, nicht mehr einschlafen konnte und noch etwas betrunken war, dachte ich „Jetzt oder nie“ und schickte ihm eine Freundschaftsanfrage auf Snapchat – es ist vollkommen okay, wenn du jetzt lachen musst, immerhin gibt es wahrscheinlich keinen passiveren Weg, jemandem zu sagen „Hallo, hier bin ich! Ich existiere, denk doch mal an mich und setz dich mit mir auseinander“. Bis heute hat er mich nicht angenommen und hat sich vermutlich nur gewundert, warum ich das getan habe. Auf der einen Seite war ich schon traurig darüber, auf der anderen Seite kann ich es auch vollkommen verstehen, weil wir uns ja eben nicht gut kennen.

In der Schule hatte ich dann auch noch zunehmend das Gefühl, dass er genau weiß, dass ich ihn mag – und er mich eben nicht so. Als er sich einmal Kaffee in der Cafeteria holte und meine Freundin und ich hinter ihm standen, drehte er sich irgendwann um, schaute meine Freundin an und sagte „Bis später“ und ignorierte mich, als wäre ich gar nicht da. Vielleicht war das keine Absicht von ihm und ich hab, wie Frauen das tun, zu viel hinein interpretiert. Ich weiß es nicht. Irgendwie werde ich aber einfach das Gefühl nicht los, dass er so sensibel ist und gemerkt hat, dass ich auf ihn stehe.

Jedenfalls neigt sich meine Schulzeit und Ausbildung langsam dem Ende zu. Die ganze Zeit über hatte ich mir jetzt gesagt, dass ich ihm schreibe, wenn die Schule und die Prüfungen vorbei sind. Ich wollte nicht riskieren, mich wegen ihm nicht mehr auf die Klausuren konzentrieren zu können. Da er aber immer wieder Thema zwischen meinen Freundinnen und mir war, gaben sie mir vor ein paar Wochen den Tipp, ihm jetzt zu schreiben, da es nachher nur noch schwieriger wäre, ein Thema zu finden.

Vor zwei Wochen kam er während der Pause in unsere Klasse (er hat Kumpels aus meiner Klasse) und wir/sie sprachen über ein Fach, das geschrieben wird und spekulierten, was wohl dran kommt. Ich saß nur da und konnte mich kaum auf die Worte konzentrieren, die er sagte, weil ich schon wieder so nervös wurde. Nachdem er und die anderen Jungs gegangen waren, sagte meine Freundin „Jetzt hast du einen Aufhänger, warum du ihm schreiben kannst! Du kannst ihn nochmal fragen, was er für wahrscheinlich hält und was sie intensiver behandelt haben.“ Das ist jetzt zwei Wochen her und jeden Abend habe ich mir gesagt „Morgen schreibst du ihn an.“ Bis heute hat es gedauert, bis ich mich endlich getraut habe. Nachdem meine Freundinnen mir nochmal versichert haben, dass ich es ansonsten bereuen würde und es ja nicht schaden kann, rang ich mich endlich durch. Und stell dir vor: Er hat wirklich lieb geantwortet und absolut nicht wie ein desinteressierter, egozentrischer Arsch. (Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um auf den springenden Punkt zu kommen.) Jedenfalls haben wir ein bisschen hin- und hergeschrieben, auch wenn es um etwas ging, dass ich im Prinzip schon wusste bzw. was mir nicht wirklich weiterhalf. So nervös war ich schon ewig nicht mehr. Vielleicht erinnerst du dich an den Abend als mich mein damals erster Schwarm angeschrieben hat? Ich würde es etwa damit vergleichen. Ich hab gleichzeitig gezittert und geschwitzt. Und auch, wenn wir bisher nicht besonders viel geschrieben haben, vielleicht ergibt es sich ja doch irgendwie, dass mehr daraus wird. Meine Freundinnen haben mir schon geraten, dass ich ihn in den kommenden Tagen fragen könnte, wie die Klausuren bei ihm gelaufen sind. Auch wenn ich nicht gerne aufdringlich bin: Vermutlich wird es keinen besseren Weg geben, ihm zu zeigen, dass ich Interesse an ihm habe.
Oder wie würdest du vorgehen? Meinst du, wenn ich irgendwann mit der Tür ins Haus fallen würde und ihm gestehen würde, dass ich ihn echt gern habe, dass es ihn verschrecken würde? Klar, es kommt darauf an, wie er mir weiterhin antwortet… Und auf der anderen Seite würde ich ihn natürlich erst noch gerne besser kennen lernen, mich mit ihm treffen. Aber wie fragt man jemanden einfach so nach einem Treffen?? Ja, ich weiß, vieles kommt einfach von alleine und muss sich erst entwickeln. Aber ich kann nicht anders, als schon 5 Schritte weiterzudenken. Zum ersten Mal seit drei Monaten habe ich die Hoffnung, dass wir ansatzweise die Chance haben, uns besser kennen zu lernen und ich will es nicht vermasseln. Wann werde ich ansonsten nochmal jemanden treffen, der mich so fasziniert wie er?

Du kennst ja mittlerweile jeden meiner „Männerbekanntschaften“. Meinem ersten Schwarm war ich zu jung und es wurde nichts. Bei meinem ersten Freund hat mir letztendlich etwas gefehlt, er hat mich nie „um den Verstand gebracht“. Der Letzte war der größte Fehler meines Lebens, woraus ich aber auch viel gelernt habe.
Und er jetzt? Er scheint der Allererste zu sein, mit dem ich wirklich richtig glücklich sein könnte. Er ist nicht zu alt. Ich bin nervös, wenn er in meiner Nähe ist und das habe ich bei meinem Exfreund nie so empfunden. Er ist auch der Erste, den ich körperlich so attraktiv finde, wie niemanden bisher zuvor. Bei ihm fühlt es sich anders an. Auch wenn ich bisher nicht von einem richtigen Verliebt sein sprechen kann, weil ich ihn einfach zu wenig kenne. Ich bin schlicht und ergreifend vorsichtiger geworden und versuche, mich nicht Hals über Kopf in etwas zu werfen, was vielleicht wieder nichts wird.

Vielleicht weißt du schon, was du mir hierauf antworten möchtest. Und falls nicht, bin ich offen für alle Vorschläge, wie ich es schaffe, dass er weiterhin Interesse hat, mit mir zu schreiben. Jedenfalls würde es mich wie immer freuen, wenn du mir einen Ratschlag geben würdest.

Alles Gute, liebe Grüße und bis zum nächsten Mal (denn es wird kommen, da bin ich mir sicher),

Anonym

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

leider konnte ich in den letzten Tagen meine Antwort nicht fertig stellen, denn der Semesteranfang hat mich voll im Griff. Dein Lob und deine guten Wünsche tun mir sehr wohl, und ich freue mich, dass ich für dich eine Unterstützung bilden kann. Ich gestehe: Auch ich bin manchmal besorgt, dass ich den falschen Ton treffen oder eine Grenze verletzen könnte. Schließlich öffnest du mir deinen höchstpersönlichen Lebensbereich, und kannst daher mit Recht erwarten, dass ich mit dem angemessenen Taktgefühl vorgehe. Ob mir das immer gelingt und gelingen wird, kann ich natürlich nicht garantieren, auch wenn ich es versuche. Jedoch glaube ich, dass das Vertrauen zwischen dir und mir inzwischen so groß ist, dass unser Kontakt auch ein größeres Missverständnis oder eine Unstimmigkeit aushalten würde.

Solltest du einmal etwas, das ich dir schreibe, partout nicht verstehen können oder dich ungerecht behandelt fühlen, zögere bitte nicht, mir das mitzuteilen. In diesem Fall wird der Text natürlich nicht veröffentlicht, sondern die Sache ausschließlich per Mail geklärt werden. Das ist zwar bei uns nicht üblich, aber selbstverständlich erfordern besondere Situationen besondere Vorgehensweisen. Indessen: Solch eine Situation haben wir ja gerade nicht, und ich habe mich sehr gefreut, von dir zu hören. Auch ich wäre sehr glücklich, wenn unser Dialog auch weiterhin nicht abreißen würde - wobei das natürlich ganz bei dir liegt. Du bist mir gegenüber zu nichts verpflichtet. Ich mache diesen Job freiwillig. Solltest du einmal nicht mehr den Wunsch verspüren, musst du dich nicht rechtfertigen, sondern kannst es einfach so stehen lassen. Dich ein gutes Stück begleitet haben zu dürfen, ist mir Ehre und Dank genug.

Ich glaube, dass ich beim Lesen deines letzten Textes aber tatsächlich einen Denkfehler gemacht habe: Einen simplen zwar, aber einen schwerwiegenden. Denn du schriebst (und hast jetzt wieder geschrieben): "Wie lerne ich ihn besser kennen?" Mein Fehler war es, diese Frage nicht wörtlich zu nehmen, sondern anzunehmen, dass du unbedingt mit ihm zusammen kommen wolltest. Dabei hast du ja erklärt, dass du dir nicht sicher bist, ob er der Mann für dich sein könnte, sondern es erst herausfinden willst. Meine Überlegungen waren deshalb davon bestimmt, wie du es schaffen könntest, dass er sich in dich verliebt - was einen Schritt zu weit gedacht war. Vielleicht kann dir das, was ich damals geschrieben habe, ja in einer zukünftigen Situation helfen. Allerdings bin ich auch da nicht das Maß aller Dinge - du solltest dich in deinem eigenen Urteil nicht von dem beeinträchtigen lassen, was ich schreibe, sondern selbst beobachten und erfühlen, welches Handeln dir passend erscheint. Eine Garantie für das Gelingen gibt es nie; aber es gibt die Chance, aus Versuchen etwas zu lernen.

Nun muss ich ganz offen zugeben: Du bist an einem Punkt, an dem du etwas riskieren musst; da haben deine Freundinnen schon Recht. Es ist nur zu menschlich, dass du da erstmal wie vor einem Dickicht stehst, das dir mit dornigen Ästen entgegenwächst - du weißt, dass du irgendwie durch musst, und jede Dorne ist ein mögliches Fettnäpfchen. Du weißt, dass du nicht alle auslassen kannst, aber du willst verzweifelt vermeiden, auch nur in die Nähe von einem zu kommen. Ich sage es gleich: Das kann dir nicht gelingen. Denn wenn du zu ihm eine größere Nähe aufbauen willst, zuerst mal freundschaftlich, dann kannst du dir nur so Wissen über ihn erwerben - worüber er lacht, was ihn verwirrt, wann er sich verständnisvoll verhält, mit was er sich beschäftigen kann, und alles das. Die vielen kleinen Scheußlichkeiten, Patzer, Schweigemomente und Unsicherheiten, die es nun einmal gibt, sind unschön, aber sie helfen dir, dass der Mensch, um den es sich handelt, vor deinen Augen Gestalt annimmt. Bisher hast du ihn nur aus der Ferne betrachtet und nicht kennen gelernt, sondern nur vermutet und interpretiert. Je länger du das tust, desto größer wird deine Unsicherheit. Und es besteht die Gefahr, dass du dir einen gedanklichen Menschen heranziehst, der mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun hat - positiv wie negativ. Dann wirst du, wenn es wirklich zum Kontakt kommt, nur enttäuscht sein - oder du wirst gar nicht in der Lage sein, es zu sehen, wenn er große menschliche Schwächen haben sollte.

Du musst daher, so schwer es fällt, mit offenen Händen in das Rosendickicht greifen, um die Blüten herauszufischen. Das Gute ist: Du kommst in seiner Welt bereits vor, er hat dich bemerkt. Jetzt ist wichtig, dass du dich um seine bisherigen Eindrücke nicht kümmerst, dich nicht fragst, was er möglicherweise komisch gefunden, belächelt oder was ihn genervt haben könnte... denn wenn du bereits jetzt glaubst, dass seine (negative) Meinung über dich steht, kannst du es auch gleich bleiben lassen. Doch du kannst nur gewinnen, denn du hast dir nichts vorzuwerfen. Wenn es sich lohnt, ihn kennenzulernen - und das wissen wir noch nicht -, dann wird er dafür Verständnis haben, dass du es bisher eher unbeholfen versucht hast. Oder darüber hinwegsehen. Oder im Idealfall: Wissen, dass deine Unbeholfenheit nur zeigt, dass du um keinen Preis etwas falsch machen wolltest. Das kann jedem in jedem Alter so gehen, das ist nichts, was du dir persönlich ankreiden müsstest. Du kannst die vergangenen Tage, Wochen und Monate nicht ändern. Es gibt im Leben nur eine Richtung, nämlich vorwärst. Und noch hast du die Möglichkeit, eine genaue Antwort auf die Frage zu erhalten, die dich umtreibt: Nämlich, ob dieser Mann eine bleibende Rolle in deinem Leben spielen kann - und will.

Das Gute ist: Du hast das Eis jetzt endlich gebrochen. Und wenn sich die Dinge in der Zwischenzeit vielleicht schon weiterentwickelt haben, würde das niemanden mehr freuen als mich. Falls aber nicht: Ich glaube, du musst hier deinem Bauchgefühl folgen. Denn ob du ihn verschreckst oder nicht, hat nicht so sehr etwas damit zu tun, ob du grundsätzlich etwas "richtig" gemacht hast oder "falsch", sondern damit, wie er persönlich tickt. Selbst wenn er kein Frauenheld ist, sondern an einer Liebesbeziehung interessiert, kann es sein, dass du bei ihm nicht landen kannst. Wenn er Interesse an dir hat, wird die Art und Weise deines Vorgehens aber zur Nebensache.

Ich erzähle mal aus meiner eigenen Erfahrung: Als ich noch zur Schule ging, war ich heftig in ein Mädchen verliebt, mit der ich mich gut verstand. Wir hatten öfters nebeneinander gesessen, oft in der Straßenbahn miteinander geredet, ich wusste auch einige persönliche Dinge von ihr. Ich habe immer wieder versucht, ihr Komplimente zu machen, und später dann habe ich sie ein paarmal nach Hause begleitet, obwohl ich ganz woanders wohne. Ich war auch mal kurz bei ihr gewesen. Kurz und gut: Ich war bei diesem Mädchen an dem Punkt, an dem ich entweder Farbe bekennen musste - in der Hoffnung, dass sie mehr Zuneigung in sich birgt, als sie bisher gezeigt hatte -, oder aber den Mund halten und die Gelegenheit verstreichen lassen. Letztendlich habe ich ihr einen Liebesbrief geschrieben. Die Sache ging schief. Nicht, weil sie meine Gefühle belächelt oder sich dafür geschämt hätte, sondern weil sich zeigte, dass sie große Schwierigkeiten hat, sich überhaupt auf jemanden einzulassen. In dem Brief sagte ich damals, ich würde mich freuen, wenn sie mir zurückschriebe - sie fühlte sich durch die bloße Bitte aber unter Druck gesetzt. So ähnlich sagte sie mir das jedenfalls, als ich etwas später um eine Reaktion anklopfte. Sicherlich habe ich in den Einzelheiten viel zu dick aufgetragen (ich hatte sogar ein schmalziges Gedicht geschrieben). Das wesentliche Problem, das sich auch zeigte, als sie etwas später mit einem Bekannten von mir zusammen kam, war aber ihre Bindungsangst und die Tatsache, dass Romantik ihr wohl einfach nicht besonders liegt. Denn auch deren Beziehung ging sehr bald auseinander, weil er sich mehr davon erhoffte, als sie zuzusichern bereit war. Nichts hatte mir das sagen können - ich hatte mein Glück auf die Weise versucht, die mir am erfolgversprechendsten erschien, und ich war gescheitert. Aber ein Gutes hatte es auf jeden Fall: Ich hatte eine absolut klare - und absolut respektvolle - Aussage erhalten, und war von meinem monatelangen Schwärmen und Zweifeln erlöst, das immer mehr in Besessenheit umzuschlagen begonnen hatte. (Übrigens hat die Geschichte ein echt witziges Ende: Ihre Mutter fand den Liebesbrief und sieht in mir seitdem ihren Wunsch-Schwiegersohn, was sie übrigens auch meiner Mutter jedesmal durch die Blume mitteilt, wenn sich eine Gelegenheit ergibt...)

Meine Jugendliebe hatte also ein versöhnliches, aber kein glückliches Ende. Im Nachhinein bin ich klüger: Hätte ich sie richtiger eingeschätzt, hätte ich sie zuerst mal ins Kino eingeladen und dann zu mir nach Hause, hätte mit ihr für Prüfungen gelernt und wir hätten uns immer mehr voneinander erzählt, und irgendwann wären wir uns vielleicht näher gekommen. Ich wollte aber nicht warten. Ich wollte unbedingt sofort wissen, wie sie fühlt. Sie wollte das aber nicht und konnte es wohl auch nicht. Ich habe aber an Erfahrung gewonnen, und kurze Zeit später habe ich die Frau kennen gelernt, mit der ich dann bis vor relativ kurzer Zeit zusammen war. Zu diesem Zeitpunkt verstand ich, dass alles, was davor an Enttäuschungen und Missverständnissen und Konflikten vorgefallen war, nur dazu gedient hatte, mich dahin zu führen, wo ich dann stand. Und nirgendwo wollte ich lieber sein. Ich habe meine Exfreundin während eines Krankenhausaufenthalts kennen gelernt. Von der Fahrt dahin im Auto meiner Mutter habe ich einen Ohrwurm, der mich bis heute begleitet. Es ist das Lied "Lego House" von Ed Sheeran: "And out of all these things I've done, I think I love you better now". Das war dann, wenn man so will, mein Motto für die letzten fünf, sechs Jahre. Verstehst du? Es kommt nicht darauf an, ob du etwas falsch machst, denn das, was es dir zeigt - nämlich, ob jemand deine Gefühe erwidert oder nicht -, das ist eh schon da, das ist kaum zu steuern. Aber die Art und Weise, wie du deine eigenen Gefühle ausdrückst, wie du mit denen eines anderen Menschen umgehst - kurz: wie man die Liebe LEBT, - die kannst du reflektieren, entwickeln und vervollkommnen. Voraussetzung ist, dass man erst einmal anfängt. Ich habe in meiner letzten Beziehung zwar Fehler gemacht - ich und auch meine Ex. Aber ich habe das Gefühl, dass ich die Fehler meiner ersten Beziehung und meiner dazwischen gelegenen, unglücklichen Liebe nicht wiederholt habe - oder zumindest sie ausgebügelt, wenn sie doch passierten. Dass meine letzte Trennung einvernehmlich war und ich mit meiner Ex nach wie vor einen guten Draht habe, bestätigt mir das. Ich habe Jahre meines Lebens aufgewendet, um diesen Menschen kennen zu lernen, sein Vertrauen zu erwecken und zu erhalten, ihr mein Leben zu erzählen und unsere Bindung zu festigen - und dieser Aufwand war nicht verschwendet. Der Aufwand, den man aus Liebe tut, ist nie verschwendet. Man wählt die Mittel selbst, man kann nicht alles richtig machen, aber alles immer besser.

Das heißt in deinem Fall: Wenn dein Herz dir eingibt, mit der Tür ins Haus zu fallen, liebe Anonyme - tu es. Wenn es das ist, was du willst, dann zögere nicht. Du musst es aber auch wollen. Wenn eine Stimme in dir verlangt, hinauszuschreien, wie gefesselt du bist, wenn er nur den Raum betritt, wenn er wissen soll, wie gern du seine Stimme hörst, dass du fürchtest, nie wieder von einem Menschen so in den Bann geschlagen zu werden, wie von ihm - dann lass ihn all das auch wissen. Es kann sein, dass es dir so geht wie mir bei meinem Oberstufen-Schwarm. Aber dann nicht, weil du dich falsch verhalten hast, sondern weil du es in diesem Moment brauchtest. Du hast dann vielleicht nicht den Ton getroffen, mit dem er umgehen kann. Aber würdest du langsamer vorgehen, würdest du vielleicht Angst haben, dass es nicht genug ist. Und wenn er deine Gefühle nicht erwidert oder die Zeichen falsch deutet, und dann demnächst mit einer Anderen zusammen ist, wirst du dich immer fragen, ob du deutlicher hättest sein sollen. Diese Frage wird dich genauso quälen wie die, ob du zu aufdringlich warst, wenn du wirklich dein Herz ausschüttest. Auch ich hätte damals ja die Chance gehabt, mich zu bessern: Ich hätte einen Gang runterschalten können, erstmal freundschaftlich Kontakt halten, sehen, was sich so ergibt - nur kam mir eben das Leben dazwischen. Du kannst diesem Prozess nicht entkommen - in irgendeine Richtung treibt das Leben dich erbarmungslos voran. "I love you better now" heißt nicht, ich mache alles sofort richtig, und zwar so und so. Es heißt: Ich mache Fehler, sammle Erfahrungen, gehe Risiken ein - und ziehe daraus meine Schlüsse.

Aber wenn du ihm kein ausführliches Liebesgeständnis machen möchtest, ist also auch das völlig in Ordnung. Dann ist mein Rat: Fang klein an. Du hast eine ganz kleine Glut entzündet, jetzt soll daraus eine Flamme werden, dann ein warmes Feuer, dann ein Flächenbrand. Weder du noch ich wissen, wo dieser Weg hinführt. Aber für eine Richtung musst du dich entscheiden. Nach einem Date zu fragen, ist dann am schwersten, wenn du erwartest, es perfekt machen zu müssen. In Wirklichkeit erzeugst du durch deine eigene Nervosität nur die Unruhe, die dann bei ihm vielleicht zu Reaktionen führst, die dich verwirren und dir Angst machen. So sehr dein Herz also auch pocht - versuche, cool zu bleiben, und schreib ihm einfach "Hey, bisher kennen wir uns ja nicht so richtig direkt - hättest du Lust auf nen Kaffee mit der Zurückhaltenden?", oder "Mal eine Frage, hast du Skype? Ich glaube, du kannst mir das besser direkt erklären als schriftlich.", oder "Ich hab die Berufsschule jetzt durchlaufen, ohne dass wir groß geredet haben. Ich würde das gern nachholen, falls du mal Zeit hast..." Möglicherweise klingen meine Formulierungen für dich unhandlich, zu selbstkritisch oder lächerlich, dann fühl dich daran bitte nicht gebunden. Wichtig sind zwei Dinge: Erstens, mach deutlich, was du möchtest, nämlich auf die eine oder andere Art ein Date mit der Möglichkeit, mit ihm zu reden. Und zweitens, erwarte nicht von vorneherein, dass er dich irgendwie als "unter seiner Liga" empfindet. Wenn du also die Person, als die er dich bisher erlebt hat - die stille und vorsichtige - überhaupt erwähnst, dann nicht entschuldigend, sondern frech. Du bettelst nicht und du forderst nicht, du hast einen Vorschlag. Wenn er sich etwas davon verspricht, und das ist immer der Fall, falls du ihm sympathisch bist (wonach es ganz aussieht), dann wird er darauf eingehen. Hab auch keine Scheu, falls es nicht gleich klappt, zu einem anderen Zeitpunkt nochmal anzuklopfen. Du verletzt bei ihm keine Grenzen, du machst ihm ein Kompliment. Er kann darauf eingehen oder nicht, beides ist für dich ein Hinweis, wie er zu dir steht.

Ich möchte noch auf die Frage nach den "Playern / Frauenhelden / Beziehungsunfähigen..." eingehen. Ich gebe dir völlig Recht: Die Realität ist sehr komplex. Es gibt Männer - und davon kenne ich einige - die nicht wirklich an einer Beziehung interessiert sind, die man so nennen kann. Sie verlieben sich wohl, kommen zusammen, aber laufen vor den Herausforderungen davon. Das sind Männer (und davon gibt es natürlich auch viele Frauen), die darüber erschrecken, wenn der erste Rausch des Verliebt-Seins weg ist, und sie vor der Herausforderung stehen, das Ganze alltagstauglich zu machen. Die Verliebtheit ist dann wie eine Droge, die man sich woanders holt, nur um bald danach wieder auf dem Trockenen zu sitzen. Gerade bei Männern habe ich oft den Eindruck, dass sie den Wert einer gewachsenen, vertrauensvollen Beziehung nicht richtig kennen gelernt haben: Entweder wurde ihnen das nicht vorgelebt, oder sie definieren sich sehr stark über die Aufmerksamkeit, die sie erhalten, wenn Frauen sich in sie verlieben. Dieses große Selbstwertgefühl, das sie dann haben, wird von vielen mit echter Liebe verwechselt. Dann gibt es Männer - und davon sind hier im Kummerkasten einige unterwegs - die echte Romantiker sind und verzweifelt nach der wahren Liebe suchen, sich aber irgendwie immer selbst im Weg stehen: Entweder, weil sie Signale falsch deuten, oder weil sie nicht sehen, wie nahe das Glück ist, oder weil sie sich in ein unrealistisches Ziel verrennen... die Bereitschaft, alles für die Liebe zu opfern, macht blind dafür, wie schön Liebe auch sein kann, wenn sie ganz unspektakulär ist. Man macht sich ein riesiges Idealbild und verfolgt es kompromisslos, nicht sehend, dass man sich sein Leid selbst bereitet. Dann wieder gibt es Männer, die einfach kein besonders gutes Frauenbild haben (und oft auch kein wirklich gutes Männerbild), und die deswegen keine Kommunikation und keinen von Respekt geprägten Umgang auf die Reihe kriegen, weil sie in der Frau an ihrer Seite nur Stereotypen sehen, nach dem Motto "ach, die Tage... die Zickigkeit... die Machtspiele mal wieder". Sie sehen nicht, dass es sich um individuelle Probleme und Konflikte handelt, die einen Grund haben und gelöst werden können - wenn beide das wollen.

Echte, notorische Frauenhelden vom Typ "Barney Stinson" kenne ich, ehrlich gesagt, nur wenige. Ich kann mich oftmals des Eindrucks nicht erwehren, dass die Klappe oft größer ist als die Wirklichkeit; und wie wertvoll sexuelle Erfahrungen sind, die halb von Alkohol umnebelt sind und ihren Wert in erster Linie daraus beziehen, dass man damit angeben kann, sei mal dahin gestellt. Ich glaube, viele Aufreißer-Typen sind tatsächlich krankhaft auf der Suche nach, in irgendeiner Form, Identität und Bestätigung; und sie finden sie in einem Schema von "muss man gemacht haben, möglichst viel, möglichst alles". Was ihnen am Ende bleibt, wissen sie nur selbst. Aber das, was du als "Player" bezeichnet hast, muss ja noch nicht heißen, dass da nicht doch ein potenzieller fürsorglicher Liebhaber dahinter steckt. Möglich, dass du dich erst durch das erwähnte "Rosendickicht" seiner Fehler und Komplexe und Ängste zu seinen Qualitäten durchkämpfen musst. Aber vielleicht ist das gerade das, was du willst. Und deine bisherigen Erfahrungen scheinen ja zu zeigen, dass er offen und ehrlich ist. Was immer es wirklich ist: Du erfährst es nur, wenn du jetzt am Ball bleibst. Was er ist und wie er ist, merkst du früh genug - doch Spekulationen und Mutmaßungen deiner Freundinnen, so gut sie gemeint sein mögen, stiften am Ende mehr Verwirrung. Manchmal braucht es einfach die Erfahrung, auch wenn sie keine gute ist, zumindest beim Erwerben. Später zeigt sich der eigentliche Wert. Man kann nicht nur nach einem Plan und Schema leben, nur Rezepten folgen, aus Prinzip Enttäuschungen vermeiden wollen. Seit deinen letzten Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht hat sich vieles geändert: Dir ist immer klarer geworden, was du willst, du forderst es immer selbstbewusster ein, und du hast klar realisiert, was dir gut tut. So sehr du dich auch (nach meiner Meinung völlig zu Unrecht) für manches Vergangene schämst, bist du doch daran gewachsen. Es gibt keinen Grund, warum du deine Haltung, die bisher schon konsequent und wertbewusst war, nicht auch deiem jetzigen Schwarm gegenüber zeigen solltest. Mehr noch als bisher. Und das ist etwas, was du möglicherweise vielen "Blondinen" in Kneipen voraus hast. Du kannst nur gewinnen - denn du hast auch bisher nur gewonnen, ob du es jetzt wahrhaben willst oder nicht. Du hast viel geschafft. Du wirst auch das schaffen.

Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du bei deinem Schwarm punkten kannst, und denke dir allen Mut und alles Selbstvertrauen zu, die du brauchen kannst. Vielleicht hilft es ja etwas. Vor allem jedoch: Du bist es wert. Und das darfst du nie vergessen. Er hat genau auf DICH gewartet - ob du für ihn seine Traumfrau bist oder die, die ihn dazu bringt, sich zu hinterfragen, oder was auch immer, er hat auf DICH gewartet. Das Spiel ist eröffnet. Und ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn ich zu gegebener Zeit erfahren dürfte, wie es ausgegangen ist.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul